Stina auf Abenteuersuche

Schon immer hörte ich diese Sätze von Hundebesitzern, aber noch nie so oft wie in den letzten Monaten: "Sie zieht immer so beim Spazierengehen." "Wenn wir spazieren gehen, knurrt er andere Hunde an." "Ich kann ihn auf dem Spaziergang nicht frei laufen lassen." "Die Spaziergänge sind unglaublich anstrengend, weil er ständig bellt und zieht und am Ende will er nicht mehr weiter gehen."

Oooookaaayy: Das ist alles nicht schön und man sollte an den Grundproblemen arbeiten. Einverstanden.

Aaaaber: Hier prallen zwei Welten aufeinander. Die meisten Menschen wollen "spazieren gehen". Der durchschnittliche Hund will aber nicht "spazieren gehen". Hier und dort gibt es den einen oder anderen, vor allem wenn er älter und rassebedingt nicht extrem gezüchtet ist auf bestimmte Eigenschaften. Doch generell geht ein Hund nicht spazieren!!

Hier ist jetzt die einfache Erklärung:

"Ein Spaziergang (im 15. Jahrhundert entlehnt von italienisch spaziare „sich räumlich ausbreiten, sich ergehen“) ist das Gehen (Ambulieren, Flanieren, Promenieren, Lustwandeln) zum Zeitvertreib und zur Erbauung. Ursprung des Spaziergangs ist das aristokratische „Lust-wandeln“ in Gärten und Barockparks, später kam eine soziale Komponente hinzu (Kontakte knüpfen, ungestört Gespräche führen). Die Entwicklung von Parks oder Promenaden hängt unmittelbar mit dem Spaziergang zusammen. Unter Bürgerlichen ist er im 18. Jahrhundert in Mode gekommen." (Quelle: Wikipedia)

So stellt sich also seit Jahrhunderten der normale Bürgerliche den Gang vor die Haustür vor, wenn er nichts zu erledigen hat. Nennen wir es mal schonungslos: planlos durch die Gegend laufen. Ein Hund hat aber immer etwas zu erledigen. Er will jagen, rennen, schnüffeln, buddeln, sein Revier abstecken, andere Hunde verprügeln, Menschen wegen Leckerchen anspringen, seine Ressourcen bewachen (könnte der Mensch oder das Revier oder der Ast im Fang sein). Er will Jagdhund, Wachhund, Hütehund, Herdenschutzhund, was auch immer sein. Ein durchschnittlicher Hund hat immer einen Plan! Und wenn wir ihn nicht kontrolliert auslasten und erziehen, dann brechen sich diese Bedürfnisse unkontrolliert ihre Bahn. Dazu kommt, dass die meisten unserer Hunde ehrlich und wirklich selbst bei bester Triebauslastung nicht "spazieren gehen" wollen. Durch die Landschaft tapern ohne zusätzliche Handlung machen sie einfach nicht mit. Keine Lust.

Hinzu kommen zwei häufige Komponenten: Angst oder Stress, weil ständiges an langer oder kurzer Leine laufen einfach unglaublich anstrengend ist für unsere Hunde. Den Frust lassen sie dann meistens nicht an ihrem eigenen Menschen aus, sondern an entgegenkommenden Hunden. Und dann haben wir die beiden Wörter, die von unglaublich vielen Hundehaltern im gleichen Atemzug genannt werden: Spaziergang und Leinenaggression. Sie gehören zusammen wie Max und Moritz, Bonnie und Clyde, Timmy und Lassie. Mein ganz persönliches Problem liegt darin, dass jeder Hundebesitzer das ändern könnte, aber der Hund kann es nicht. Die meisten Hundebesitzer wollen dagegen nur den Hund ändern und verdrängen auch nach Aufklärung die Wahrheit, dass "ihr" Spaziergang nicht "sein" Spaziergang ist und oft auch nie werden wird.

DAS ist nun die theoretische Seite all der praktischen Tipps, die wir von Hundetrainern bekommen: Sozialisieren Sie den Hund. Machen Sie spannende Dinge. Nehmen Sie Leckerchen mit. Machen Sie sich interessant. Machen Sie Erziehungsübungen. Lenken Sie ihn von anderen Hunden ab ... Ja, ja ja ... Aber das ist dann nicht mehr "unser" Spaziergang. Das ist eine Rundumbeschäftigung für den Hund. Und leider sehe ich auch da unglaublich oft Hunde, denen geht das ganze Gerödel einfach nur auf den Nerv. Sie wollen jagen. Oder wachen. Oder hüten. Oder zu Hause auf dem Teppich herumliegen. Und wenn schon in den Wald oder in die Wiesen, dann wenigstens die Freiheit genießen und nicht an der Leine sein!

So, jetzt sind wir an dem Punkt angekommen, an dem ich gerne immer ein paar Tipps gebe. Heute ist das nicht der Fall. So einfach machen ich es Ihnen und euch nicht. Vielleicht sollten wir alle mal darüber nachdenken, ob unsere Hunde das überhaupt leisten können, was wir von ihnen erwarten. Danach kommt dann die nächste Frage: wie schaffe ich es, unser gemeinsames Leben so einzurichten, dass jeder zu seinem Recht kommt? Denn ganz sicher bin ich mir inzwischen, dass viele Menschen sich für einen Hund entscheiden, weil sie selbst Kontakt suchen, andere Menschen kennen lernen und "spazieren" gehen möchten. Umso tragischer ist es dann, wenn der eigene Hund genau diese Bedürfnisse durch sein anstrengendes Verhalten kaputt macht.

Und nun kommt mein Generalvorschlag, der nahezu immer passt: erwarten Sie nicht zu viel von Ihrem Hund und auch nicht von sich selbst. Entspannen Sie sich, haben Sie Spaß und seien Sie realistisch, was Sie selbst und Ihr Hund leisten können. Ihr Hund muss nicht in die Stadt und er muss nicht in den Wald und er muss nicht jeden Tag mit Hunden spielen und er muss nicht jedes Mal in den Garten, wenn er vor der Tür steht. Er muss nicht jeden Ihrer Wünsche erfüllen und er muss nicht jeden Wunsch erfüllt bekommen. Lassen Sie los! Bleiben Sie locker und vor allem: überlegen Sie sich, ob ein Hund oder eine Rasse zu Ihnen passt, bevor er einzieht. Er hat nämlich keine Chance, Sie zu wählen. Er muss sich darauf verlassen können, dass Sie die richtige Entscheidung treffen.

Wenn Sie also einen Hund für Ihre Spaziergänge brauchen, wählen Sie am besten einen, der auch gerne "spazieren" geht. Wenn Sie einen Hund haben, der sich gerne prügelt oder Angst vor Hunden hat oder jagen möchte oder mit Ästen durch die Gegend läuft ... dann geht er NICHT spazieren. Er macht etwas anderes als Sie. Wenn das für Sie in Ordnung ist, dann ist ja alles gut. Und wenn das nicht für Sie in Ordnung ist, dann kann man das manchmal ändern und manchmal auch eben nicht. Im zweiten Fall werden Sie nie mit dem Hund "Spaziergänge" machen, wie man sich einen "Spaziergang" vorstellt. Aber stattdessen kann man doch auch viele andere schöne, gemeinsame Dinge erleben.

Wir wünschen Ihnen also ab sofort interessante Laufrunden. Oder schöne Trainingseinheiten. Oder eine Toberunde im Garten. Oder eines der vielen anderen Dinge, die man mit seinem besten Freund machen kann. Und wir wünschen all denen entspannte Spaziergänge, die sich zu einem Mensch-Hund-Spaziergeh-Team zusammen gefunden haben. Allen anderen wünschen wir, dass sie mit ihrem Hund ein tolles gemeinsames Leben haben. Spaziergänge werden einfach überbewertet.

Ihre Martina Nau

und das gesamte Baak-Dogwalker-Team