November 2025: Die Roll-Leine
04.11.2025
Können Millionen Hundehalter irren? Ich finde: Ja! Sie sollten keine Roll-Leine benutzen.
Dabei sind Rollleinen mit automatischer Einrollfunktion eigentlich eine praktische Erfindung. Die Vorteile sind offensichtlich: Der Hund kann sich frei bewegen, wann und wohin er möchte. Man bekommt keine schmutzigen Hände. Das ständige Einholen und Ausgeben der Leine entfällt und somit können wir selbst entspannter laufen. Mit diesen Gedanken kauft sich ein jeder diese Leine.
Und dann kommt die praktische Umsetzung: Wenn der Hund nicht mehr weiter gehen soll (weil ein anderer Hund kommt), kann man sich den Rückruf sparen (eventuell hört er sowieso nicht) und man drückt einfach den Stop-Knopf. Wenn der Hund dauerhaft oder ruckartig zieht, tut es nicht so weh an Hand und Arm, denn die Roll-Leine liegt besser in der Hand als eine Leine mit Handschlaufe. Möchte der Hund mit einem anderen Hund mal kurz an der Leine spielen (weil er sonst weg wäre, wenn man ihn ableint), kann man die Hunde mit der Roll-Leine bequemer wieder entwirren.
Wahrscheinlich haben Sie schon bemerkt, dass die letzten drei Beispiele ironisch gemeint sind - zumindest von mir. Leider sind das genau die Argumente, die ich immer wieder höre, wenn Hundebesitzer diese Leinen benutzen. Und man sieht es im Alltag, dass sie genauso gebraucht werden. Darum möchte ich jetzt gerne die negativen Seiten eines exzessiven Roll-Leinengebrauchs erwähnen, mit denen sich die Hunde (und wir Hundetrainer uns) oft herumschlagen. Exzessiv wird der Gebrauch immer, wenn man nur noch die Roll-Leine nimmt, auch dann, wenn der Hund Leinenaggression, Dauerziehen oder andere Probleme zeigt.
Die meisten bereits vorhandenen Probleme verstärken sich noch. Um voran zu kommen, müssen unsere Hunde bei Roll-Leinen gegen einen (leichten) Widerstand am Hals nach vorne ziehen. Wenn sie dies lange genug machen, gewöhnen sie es sich an und ziehen auch an der kurzen Leine oder dann, wenn die Roll-Leine mit dem Stoppknopf fest gestellt ist. Wir haben hier in den Kursen die schönsten Beispiele für sehr leinenführige Hunde, die sich das Ziehen tatsächlich schnell angewöhnten, wenn die Besitzer zur Roll-Leine wechselten. Wer es nicht glaubt, der soll es versuchen.
Durch das permanente Stemmen gegen einen Widerstand neigen viele Hunde nach einer gewissen Zeit zudem dazu, auch dann voran zu eilen, wenn sie abgeleint werden. Dies ist auch ein motorischer Vorgang, der - als Automatismus einmal angewöhnt - weg trainiert werden muss, wenn er wieder verschwinden soll. Der Rückruf wird hierdurch ganz sicher nicht besser. Diese Probleme entstehen natürlich um so schneller, wenn ein Hund vor dem Gebrauch der Roll-Leine nicht leinenführig oder schlecht rückrufbar war.
Kleine und leichte Hunde mag man mit dieser Leine noch führen können, aber bei mittelschweren und schweren Hunden kann dies sehr gefährlich werden, wenn sie impulsiv nach vorne schießen oder einen Dauerzug ausüben. Mehr als ein Mal habe ich schon Hunde plötzlich vom Bürgersteig auf die Straße rennen sehen, ehe ihr Mensch den Stoppknopf drücken konnte. Einer meiner Kunden hat genauso seinen Hund verloren. Der Hund ist überfahren worden.
Ein häufiges Problem etabliert sich zu allem Unglück in der Psyche unserer Hunde, wenn sie nicht gut erzogen, sozialisiert oder einfach stressanfällig UND ständig an der Roll-Leine unterwegs sind. Die meisten Hundebesitzer nutzen die Leine als "Fernbedienung" und setzen den Stopp ohne Ankündigung immer dann, wenn sie es möchten oder für wichtig halten. So weiß der Hund nie, wann seine Freiheit ein Ende hat oder er im Vorwärtsdrang gestoppt wird. Dies ist nicht nur nicht nett dem eigenen Hund gegenüber. Es erzeugt bei ihm auch viel Frust. Diesen reagieren Hunde gerne durch Knurren oder Schlimmeres ab. Meistens trifft es den entgegenkommenden Hund, manchmal auch den entgegenkommenden Spaziergänger und ab und zu sogar den eigenen Menschen. Dies ist, was wir allgemein "Leinenaggression" nennen. Sie ist häufig nichts anderes als aufgestaute Frustration. Dabei könnte man dem Hund einfach ein Vorwarnsignal beibringen oder ihn rufen statt unangekündigt den Stopp zu drücken. Das würde schon vieles verbessern. Es macht nur leider kaum jemand.
Mein persönliches Fazit: Generell finde ich Roll-Leinen sehr praktisch und, wenn man sie ausnahmsweise hier und da (bei Läufigkeit, Krankheit, im Urlaub oder an gefährlichen Stellen auf Wanderungen mit dem Hund) anwendet. Dann sollte der Hund aber gut erzogen sein, leinenführig, keine Leinenaggression zeigen und auf Zuruf zurückkommen. Mit einem gefestigten Hund wird es so sicherlich keine Probleme geben.
Es würde mich sehr freuen, wenn möglichst viele Hundebesitzer jetzt zur gleichen Schlussfolgerung kämen und damit sich, ihrem Hund und ihren Mitmenschen einen großen Gefallen täten: die Roll-Leine in die hinterste Ecke einer Schublade legen und sie nur im äußersten Notfall wieder heraus holen.
Herzliche Grüße sendet Ihnen
Ihre
Ihre Martina Nau