Der Seven ... ein ganzer Kerl provoziert auch manchmal

Tja, meine lieben Hundebesitzer, wie oft haben Sie sich schon diese Frage gestellt, wenn Ihnen ein Hund entgegenkam? Und haben Sie dem zugehörigen Hundebesitzer diese Frage auch schon einmal mit banger Stimme entgegen gerufen? Wenn ja: Sie sind nicht alleine. Willkommen im Club!

 

Wie ein Damoklesschwert hängt die erwartete Antwort auf diese Frage über vielen Hundebesitzern. Zuerst einmal: Wovor haben sie eigentlich Angst? Ich schreibe mal meine Erfahrungen auf. In den allermeisten dieser Fälle fragen mich Rüdenbesitzer mit unkastrierten Rüden, die keine anderen unkastrierten Rüden mögen. Seltener sind es Besitzer unkastrierter Hündinnen, die keine unkastrierten Hündinnen mögen. Noch seltener sind es Hunde, die keine angeleinten Hunde mögen. Und noch seltener sind es Hundehalter, deren Hunde einfach keine großen, schwarzen oder keine kleinen, weißen oder nur keine fremden Hunde mögen oder die auch gar keine anderen Hunde mögen. Die letzteren mögen wohl nur sich selbst. Dies sind die Aussagen hunderter Hundebesitzer, denen ich in den letzten Jahren begegnet bin.

Kommen Ihnen beim Lesen nun die gleichen Gedanken wir mir? Ich glaube, ja. Als einfacher Hundehalter fällt es einem oft nicht auf, doch jetzt – so geballt dargestellt – können Sie beinahe gar nicht anders denken als ein(e) Hundetrainer/in, die in ähnlich geballter Form immer wieder mit den Ängsten der Hundehalter zu tun hat. Ich bringe es mal auf einen Nenner: Sie können gar nicht anders, als sich bei jeder dieser Erklärungen zu fragen, ob der vor Ihnen stehende Hund wirklich die Probleme hat, die sein Mensch vermutet. Und wenn Sie dann mal ein wenig nachfragen und in kontrollierter Situation mehrere Hundebegegnungen geschehen lassen, dann wird in den allermeisten Fällen schnell klar, dass der besagte Hund eigentlich gar kein Problem mit einem unkastrierten Rüden oder einem schwarzen, großen Hund oder mit allen gestromten Boxer dieser Welt … oder … hat – sondern … Tja, womit hat der Hund eigentlich Probleme? Und vor allem: Bin ich als Besitzer bereit, es einzusehen, dass meine bisherige Diagnose mir häufig nur zur Beruhigung diente? Und bin ich auch bereit mir einzugestehen, dass mir diese Diagnose bisher im Weg stand, das eigentliche Problem zu beheben.

 

Was aber ist das eigentliche Problem? Und wie kann ich wieder entspannt spazieren gehen? Zunächst einmal heißt es zu akzeptieren, dass unser eigentliches Problem nicht der andere Hund ist, sondern das Verhalten meines Hundes dem anderen Hund gegenüber. Ein Beispiel? Bitte, gerne: Wenn mein unkastrierter Rüde „keine anderen unkastrierten Rüden mag“, dann heißt das,

  1. dass er entweder einen potenten, deckfähigen Rüden in seiner unmittelbaren Nähe nicht akzeptiert, weil dieser ein Konkurrent sein könnte, oder
  2. dass er sich generell gerne prügelt (jawohl, solche Hunde gibt es) und er die Erfahrung gemacht hat, dass auch andere unkastrierte Rüden mit ihrem durch Testosteron bedingt größeren Mut gerne bereit sind, sich mit ihm zu prügeln oder
  3. dass er vor anderen Hunden und seinen eigenen Menschen immer wieder gerne betont, dass er der große Zampano ist, worauf sich häufig kastrierte Rüden nicht einlassen, unkastrierte sich aber schnell provozieren lassen oder
  4. dass er wirklich vor anderen Hunden (welchen Typs auch immer) Angst hat oder
  5. dass er hormonell vollkommen übersteuert ist und daher eigentlich für sein Verhalten nichts kann – also man ihn vorsichtig als „situationsbezogen unzurechnungsfähig“ bezeichnen sollte, wenn man ihm gegenüber fair sein will.

Dies ist nur ein Beispiel, wir hätten jede andere Begründung nehmen können, warum mein Hund keine anderen Hunde mag. Wenn wir nun weiter klar und ehrlich über dieses Beispiel nachdenken, dann müssen wir eingestehen, dass eigentlich der andere gar nichts dafür kann, dass meiner aus einem der fünf genannten Gründe unfreundlich ist. Und außerdem müssen wir zugeben, dass wir es sind, die unseren eigenen Hund verändern können und auch sollten, denn schließlich ist es ja möglich, etwas daran zu ändern. Man muss es nur wollen.

Was möchte ich eigentlich mit diesen Überlegungen sagen? Ich würde gerne alle diejenigen erreichen, die regelmäßig und immer wieder und vielleicht über Jahre hinweg jedem unbekannten Hundebesitzer die ängstliche Frage stellen: „Ist das ein Rüde oder eine Hündin?“ Und wenn sie wissen, ob es ein Rüde oder eine Hündin ist, dann entspannen sie sich entweder augenblicklich oder sie ergreifen vorkehrende Maßnahmen, welcher Art auch immer. Dies alles bemerkt der Hund an ihrer Seite und fühlt sich im Laufe der Zeit immer unwohler und unsicherer ... oder immer mehr dazu berufen, korrigierend in die Situation einzugreifen. Ich möchte aber vor allem uns Hundebesitzern helfen, sich ehrlich einzugestehen, welches Problem der eigene Hund (oder man selbst) hat und den Problemschwerpunkt nicht auf andere Hunde oder Hundehalter abzuwälzen. Es gibt immer eine Lösung und immer einen Trainingsweg. Man muss sich nur damit abfinden, dass man ihn selbst gehen muss. Ich finde, das sind wir unseren Hunden schuldig. Denn ist das Problem gelöst, fühlen nicht nur wir uns wohler, sondern vor allem unsere Hunde.

Ganz liebe Grüße und bleiben Sie gesund,

Ihre Martina Nau
und das Baak-Dogwalker-Team